Heute schon in den Spiegel geschaut?
„Wenn du in den Spiegel schaust und findest dich nicht schön, dann hast du nicht richtig geschaut.“
Sufi-Meister Pir Vilayat Inayat Khan
Dieses Zitat hat mich zu einer 3‑Stufen-Übung inspiriert:
Grundübung
Stelle dich gleich nach dem Aufstehen vor den Spiegel und schau in dein Gesicht. Es empfiehlt sich, das Badezimmer richtig schön auszuleuchten, sonst verpasst du was!
Stufe 1
Wie lange dauert es, bis der Reflex verschwindet, sofort etwas an deinem Aussehen verändern zu wollen? Dazu gehört zum Beispiel der tiefe Wunsch, ein Pickel auszudrücken, Härchen zu zupfen oder eine extra Schicht Faltenglätter mit Q‑irgendwas aufzutragen. Wenn du dein pures Gesicht, wie es gerade ist, gelassen betrachten kannst und sich alle O‑mein-Gott-wie-schrecklich-Gedanken gelegt haben, hast du Stufe 1 geschafft. Aber so richtig schön findest du dich vermutlich noch nicht.
Stufe 2
Dranbleiben ist alles. Versuche durch all die vermeintlichen Makel hindurchzusehen. Beobachte, wie dadurch Muttermale, rote Äderchen und dergleichen auf wundersame Weise verblassen. Schaue so lange hin, bis du im Spiegel dein frühes kindliches Gesicht erkennst. Sieh’ wie es strahlt und leuchtet, unberührt von Raum und Zeit. Blicke in diese Ewigkeit hinein, in dieses Licht, das nie weg war und immer sein wird. Das bist du! Wenn du dich jetzt schön findest, hast du Stufe 2 erreicht.
Stufe 3
Möglicherweise hast du trotz erfolgreicher Stufe 2 das Bedürfnis, dein Gesicht zu optimieren. Kein Problem. Die 3. Stufe spielt sich ausserhalb des Badezimmers ab, in deiner Familie, bei der Arbeit, im Verein, beim Einkaufen, überall dort, wo andere Menschen sind. Schaffst du es, auch in deinem Gegenüber das ewige Strahlen durch die vordergründigen Schwächen hindurch zu erkennen, dann hast du das höchste Ziel erreicht: Du findest dich und deinen Nächsten gleichermassen schön. Und damit verwandelst du auch gleich das Wort „schön“ in die tiefste Form von Liebe.
Dein inneres Licht
Bei diesen 3 Stufen handelt es sich im Grunde um einen Prozess, der vermutlich ein Leben lang andauert, Geduld mit dir selber und Willenskraft fordert. Doch mit jedem Mal wächst die Fähigkeit, dich anzunehmen, wie du bist.
Unterliege nicht der Versuchung, Stufe 2 zu überspringen, weil es einfacher scheint, im Aussen zu üben. Wenn du das Licht nicht zuerst in dir selber erkennst, wirst du beim Gegenüber am Pickel hängen bleiben und lediglich Ratschläge fürs perfekte Ausdrücken parat haben. Das mag eine Hilfe sein, jedoch nicht in der Tiefe einer Begegnung, die eigentlich möglich wäre.
Wer schreibt da?
Mein Name ist Tanja Bischofberger. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Widerspruch. Was ohne Grenzen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Dennoch liebe ich es, über Sein-Erfahrungen zu berichten. Dadurch öffnet sich vielleicht hie und da eine Tür bei einem Menschen, sich ebenfalls auf diesen wunderbaren Weg zu machen bzw. anzukommen. Vielleicht auch du?