Über das richtige Helfen
Hilfst du gerne anderen Menschen oder bist sogar in einem helfenden Beruf tätig? Als ich über den nachstehenden Text aus dem Jahr 1859 gestolpert bin, hat mich seine Aktualität verblüfft:
Søren Kierkegaard: Eine einfache Mitteilung
Wenn wir beabsichtigen, einen Menschen zu einer bestimmten Stelle hin zu führen, müssen wir uns zunächst bemühen, ihn dort anzutreffen, wo er sich befindet und dort anfangen. Jeder, der dies nicht kann, unterliegt einer Selbsttäuschung, wenn er meint, anderen helfen zu können. Wenn ich wirklich einem anderen helfen will, muss ich mehr verstehen als er, aber zuerst muss ich begreifen, was er verstanden hat. Falls mir dies nicht gelingt, wird mein Mehr-Verständnis für ihn keine Hilfe sein. Würde ich trotzdem mein Mehr-Verständnis durchsetzen, dürfte dieses wohl in meiner Eitelkeit begründet sein. Ich möchte meine Unterstützung durch seine Bewunderung ersetzen. Aber jede wahre Kunst der Hilfe muss mit einer Erniedrigung anfangen. Der Helfer muss begreifen,
- dass zu helfen nicht zu herrschen ist, sondern zu dienen;
– dass Helfen nicht eine Macht, sondern eine Geduldausübung ist;
– dass die Absicht zu helfen einem Willen gleichkommt, bis auf Weiteres zu akzeptieren, im Unrecht zu bleiben und nicht zu begreifen, was der andere verstanden hat.
Da ich auch online Coaching-Programme anbiete, fühlte ich mich bei diesem Text etwas ertappt. Ist es überhaupt möglich, auf digitalem Weg diese Form von Hilfe anzubieten? Ich finde ja, wenn ich bei der Entwicklung von Online-Angeboten diesen Kerngedanke der Hilfe mit einbaue. Marit Alke hat einen passenden Podcast erstellt.
Wochen-Aufgabe
Reflektiere in dieser Woche, wie deine Hilfe im Alltag und Beruf aussieht. Sind die Zeilen von Kierkegaard für dich eine Selbstverständlichkeit oder stossen sie dich eher ab? Wie hast du selber schon Hilfe erlebt? Wurde sie dir aus dem obigen Verständnis heraus gegeben oder gerade aus dem Gegenteil? Woran spürst du den Unterschied?
Wochen-Zitat
Mit meinen Kunden arbeite ich gerne mit Bildern. In einem meiner ersten Coachings erkannte die Kundin in einem Bild ein weibliches Gesicht, welches ich bis dahin stets als männlich wahrgenommen habe. Ich fragte nach, woran sie erkenne, dass es eine Frau sei. Sie lieferte mir mehrere nachvollziehbare Argumente. Für einen kurzen Moment spürte ich die Versuchung, die Sache richtig zu stellen, schliesslich deklarierte sogar die Schöpferin des Bildes, dass es sich um einen Mann handelt.
Dann entschied ich mich, den Standpunkt meiner Kundin einzunehmen. Rasch wurde mir klar, dass es in ihrem Thema sehr wohl eine Rolle spielte, ob da ein Mann oder eine Frau auftauchte. Ihre eigene Wahrnehmung des Bildes war Teil der Lösung.
Für mich war das eine wichtige Lern-Lektion. Obwohl ich die Bilder bis ins Detail zu kennen glaubte, betrachte ich sie seither durch die Augen meiner Kunden neu und staune, was es da noch zu entdecken gibt.
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