Voll unspirituell
Mir ist bewusst, das Wort «unspirituell» existiert laut Duden nicht (aber was weiss der schon). Ich nutze es trotzdem, weil in diesem Blog sowieso alles etwas verkehrt ist. Und wenn du bis am Ende dranbleibst, verrate ich dir endlich den Titel meines Buches…
Ziele setzen
Neuerdings setze ich mir Ziele. Also nicht diese wer-will-ich-in-fünf-Jahren-sein-Ziele. Nein, so schlichte Tagesziele wie:
- Datenschutzerklärung für xy schreiben
- Website für die Suchmaschinen optimieren
- Rechnungen schreiben (hö, hö)
Dafür habe ich mir eigens ein Buch gekauft, nämlich (Achtung Werbung) «Das 6 Minuten Erfolgsjournal». Das Ding ist super. Da schreibe ich am Morgen rein, wofür ich dankbar bin und worauf ich mich freue. Dann gibt’s den Tagesfokus, also die Aufgabe, die unbedingt erledigt sein muss (Priorität 1). Es folgt eine unterteilte To-Do-Liste, bezeichnet mit «Die Sahnehaube» und «Die Kirschen obendrauf», also Prioritäten 2 und 3. Zudem kann ich einen Gewohnheitstracker führen und eine To-Relax-Liste erstellen. Weiter gibt’s Platz für Termine, Notizen und nette Zitate von berühmten Menschen.
Damit schlage ich ein paar Fliegen gleichzeitig (die armen Viecher):
- Ich liebe vorgegebene Formulare, die ich ausfüllen kann (im Ernst, sogar die Steuererklärung)
- Meine Finger wollen nicht dauernd auf eine Tastatur hauen, sondern zwischendurch einen Stift halten und führen.
- Was gibt es schöneres, als am Ende des Tages die erledigten Aufgaben abzuhäkeln?
- Das Ganze dauert wirklich maximal 6 Minuten. In der restlichen Zeit sollte ich ja irgendwie etwas arbeiten.
Scheitern
Allerdings bin ich schon in der ersten Woche grandios gescheitert, die beiden Wochenziele habe ich nicht erreicht. Kein Wunder, wenn ich immer zuerst die Kirsche vorweg schnappe, anstatt mich um Priorität 1 zu kümmern. Aber hey, ich habe jeden Tag ein Formular ausgefüllt, von Hand geschrieben, Kästchen angekreuzt (auch wenn es die falschen waren) und das alles unter 6 Minuten geschafft. Wenn das mal kein Erfolg ist…
Wahrscheinlich bist du dir jetzt nicht ganz sicher, wie ernst ich diese Schilderungen meine. Ich ehrlich gesagt auch nicht, denn das hängt mit einer sehr spannenden Beobachtung zusammen: Warum habe ich plötzlich so eine Art Bedürfnis nach Struktur? Bis vor Kurzem schien mir die Planung meines Lebens, im Kleinen wie im Grossen, als sehr einschränkend, überhaupt irgendwie doof und voll unspirituell (schliesslich findet das Leben im Jetzt statt, bla bla).
Plötzlich unspirituell
Und das ist noch nicht alles. Auch andere Dinge sind ganz ungefragt in meinem Leben aufgetaucht. Ich habe mit Genuss zweimal einen Hamburger verdrückt (uiui, karmisch sehr problematisch) und eine Tüte Chips einer Stange Stangensellerie vorgezogen (sagt man das so?). In der Kaffeepause habe ich im verpönten «Blick» gelesen und abends eine Netflix-Serie reingezogen. Vor dem Schlafengehen habe ich nicht mehr meditiert, sondern im besagten Buch die Kästchen abgehakt und Bilanz gezogen, ob ich mit meinen Aufträgen genug verdient habe. Wieder voll unspirituell, oder?
Befreiung
Mitnichten. Während der letzten Jahre habe ich mich tatsächlich überwiegend in spirituellen Sphären bewegt, zeitlos, ich-los und ohne Plan. Die Erfahrung der eigenen Unsterblichkeit hat was Erhabenes, Tiefes und ist gleichzeitig mit viel Leichtigkeit verbunden. Das brauchte Raum. Im letzten Kapitel meines Buches schreibe ich darüber, dass der spirituelle Weg dann zu Ende ist, wenn man nach dem geistigen Höhenflug wieder ganz Mensch ist. Der Unterschied zu vorher liegt lediglich darin, dass die Wahrnehmung der Unendlichkeit immerzu präsent bleibt.
Wenn du erkannt hast, dass das ewige Sein durch dich wirkt und nicht du als ein getrenntes Ich etwas bewirkst, dann entfällt jegliche Bewertung, ob etwas spirituell oder eben voll unspirituell ist. Du bist dir jederzeit bewusst, dass alles, was du tust, jetzt einfach geschieht, ob du willst oder nicht, dass alle Absichten, Gedanken, Gefühle, Wünsche in diesem Moment auftauchen, egal ob gut oder schlecht, dass du spirituelle Handlungen und Vorstellungen nur so lange als Hilfe brauchst, bis es bei dir Klick macht: Das Sein erfährst du dann, wenn du durch dein Menschsein gänzlich hindurch tauchst, dich bis in die tiefste Tiefe annimmst. Denn es gibt nichts anderes, als das, was da ist, und das ist unendlich viel!
Das Beenden meines Buches hat mich sozusagen wieder zurück in mein Menschsein gebracht, was sich nun komplett anders anfühlt. Ich muss nicht mehr über Spiritualität reden, sie drückt sich aus, indem ich einfach bin. Jetzt kann ich wertfrei und ohne Irritationen planen, Formulare ausfüllen (vielleicht schaffe ich es ja endlich mal mit den Zielen) und anderen vermeintlich unspirituellen Schabernack begehen.
Machst du mit?
P.S.:
Ich wollte dir ja den Buchtitel verraten. Just als ich den Blog beendet habe, ist das Buch vom Buchsatz zurückgekommen. Hier siehst du den Titel grad als Bild:
Wer schreibt da?
Mein Name ist Tanja Bischofberger. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Widerspruch. Was ohne Grenzen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Dennoch liebe ich es, über Sein-Erfahrungen zu berichten. Dadurch öffnet sich vielleicht hie und da eine Tür bei einem Menschen, sich ebenfalls auf diesen wunderbaren Weg zu machen bzw. anzukommen. Vielleicht auch du?