Voll unspirituell

todo liste erstellen ist voll unspirituell
Glenn Cars­tens-Peters auf Unsplash

Mir ist bewusst, das Wort «unspi­ri­tu­ell» exis­tiert laut Duden nicht (aber was weiss der schon). Ich nutze es trotz­dem, weil in die­sem Blog sowieso alles etwas ver­kehrt ist. Und wenn du bis am Ende dran­bleibst, ver­rate ich dir end­lich den Titel mei­nes Buches…

Ziele setzen

Neu­er­dings setze ich mir Ziele. Also nicht diese wer-will-ich-in-fünf-Jah­ren-sein-Ziele. Nein, so schlichte Tages­ziele wie:

  • Daten­schutz­er­klä­rung für xy schreiben
  • Web­site für die Such­ma­schi­nen optimieren
  • Rech­nun­gen schrei­ben (hö, hö)

Dafür habe ich mir eigens ein Buch gekauft, näm­lich (Ach­tung Wer­bung) «Das 6 Minu­ten Erfolgs­jour­nal». Das Ding ist super. Da schreibe ich am Mor­gen rein, wofür ich dank­bar bin und wor­auf ich mich freue. Dann gibt’s den Tages­fo­kus, also die Auf­gabe, die unbe­dingt erle­digt sein muss (Prio­ri­tät 1). Es folgt eine unter­teilte To-Do-Liste, bezeich­net mit «Die Sah­ne­haube» und «Die Kir­schen oben­drauf», also Prio­ri­tä­ten 2 und 3. Zudem kann ich einen Gewohn­heits­tra­cker füh­ren und eine To-Relax-Liste erstel­len. Wei­ter gibt’s Platz für Ter­mine, Noti­zen und nette Zitate von berühm­ten Menschen.

Damit schlage ich ein paar Flie­gen gleich­zei­tig (die armen Viecher):

  • Ich liebe vor­ge­ge­bene For­mu­lare, die ich aus­fül­len kann (im Ernst, sogar die Steuererklärung)
  • Meine Fin­ger wol­len nicht dau­ernd auf eine Tas­ta­tur hauen, son­dern zwi­schen­durch einen Stift hal­ten und führen.
  • Was gibt es schö­ne­res, als am Ende des Tages die erle­dig­ten Auf­ga­ben abzuhäkeln?
  • Das Ganze dau­ert wirk­lich maxi­mal 6 Minu­ten. In der rest­li­chen Zeit sollte ich ja irgend­wie etwas arbeiten.

Scheitern

Aller­dings bin ich schon in der ers­ten Woche gran­dios geschei­tert, die bei­den Wochen­ziele habe ich nicht erreicht. Kein Wun­der, wenn ich immer zuerst die Kir­sche vor­weg schnappe, anstatt mich um Prio­ri­tät 1 zu küm­mern. Aber hey, ich habe jeden Tag ein For­mu­lar aus­ge­füllt, von Hand geschrie­ben, Käst­chen ange­kreuzt (auch wenn es die fal­schen waren) und das alles unter 6 Minu­ten geschafft. Wenn das mal kein Erfolg ist…

Wahr­schein­lich bist du dir jetzt nicht ganz sicher, wie ernst ich diese Schil­de­run­gen meine. Ich ehr­lich gesagt auch nicht, denn das hängt mit einer sehr span­nen­den Beob­ach­tung zusam­men: Warum habe ich plötz­lich so eine Art Bedürf­nis nach Struk­tur? Bis vor Kur­zem schien mir die Pla­nung mei­nes Lebens, im Klei­nen wie im Gros­sen, als sehr ein­schrän­kend, über­haupt irgend­wie doof und voll unspi­ri­tu­ell (schliess­lich fin­det das Leben im Jetzt statt, bla bla).

Plötzlich unspirituell

Und das ist noch nicht alles. Auch andere Dinge sind ganz unge­fragt in mei­nem Leben auf­ge­taucht. Ich habe mit Genuss zwei­mal einen Ham­bur­ger ver­drückt (uiui, kar­misch sehr pro­ble­ma­tisch) und eine Tüte Chips einer Stange Stan­gen­sel­le­rie vor­ge­zo­gen (sagt man das so?). In der Kaf­fee­pause habe ich im ver­pön­ten «Blick» gele­sen und abends eine Net­flix-Serie rein­ge­zo­gen. Vor dem Schla­fen­ge­hen habe ich nicht mehr medi­tiert, son­dern im besag­ten Buch die Käst­chen abge­hakt und Bilanz gezo­gen, ob ich mit mei­nen Auf­trä­gen genug ver­dient habe. Wie­der voll unspi­ri­tu­ell, oder?

Befreiung

Mit­nich­ten. Wäh­rend der letz­ten Jahre habe ich mich tat­säch­lich über­wie­gend in spi­ri­tu­el­len Sphä­ren bewegt, zeit­los, ich-los und ohne Plan. Die Erfah­rung der eige­nen Unsterb­lich­keit hat was Erha­be­nes, Tie­fes und ist gleich­zei­tig mit viel Leich­tig­keit ver­bun­den. Das brauchte Raum. Im letz­ten Kapi­tel mei­nes Buches schreibe ich dar­über, dass der spi­ri­tu­elle Weg dann zu Ende ist, wenn man nach dem geis­ti­gen Höhen­flug wie­der ganz Mensch ist. Der Unter­schied zu vor­her liegt ledig­lich darin, dass die Wahr­neh­mung der Unend­lich­keit immerzu prä­sent bleibt.

Wenn du erkannt hast, dass das ewige Sein durch dich wirkt und nicht du als ein getrenn­tes Ich etwas bewirkst, dann ent­fällt jeg­li­che Bewer­tung, ob etwas spi­ri­tu­ell oder eben voll unspi­ri­tu­ell ist. Du bist dir jeder­zeit bewusst, dass alles, was du tust, jetzt ein­fach geschieht, ob du willst oder nicht, dass alle Absich­ten, Gedan­ken, Gefühle, Wün­sche in die­sem Moment auf­tau­chen, egal ob gut oder schlecht, dass du spi­ri­tu­elle Hand­lun­gen und Vor­stel­lun­gen nur so lange als Hilfe brauchst, bis es bei dir Klick macht: Das Sein erfährst du dann, wenn du durch dein Mensch­sein gänz­lich hin­durch tauchst, dich bis in die tiefste Tiefe annimmst. Denn es gibt nichts ande­res, als das, was da ist, und das ist unend­lich viel!

Das Been­den mei­nes Buches hat mich sozu­sa­gen wie­der zurück in mein Mensch­sein gebracht, was sich nun kom­plett anders anfühlt. Ich muss nicht mehr über Spi­ri­tua­li­tät reden, sie drückt sich aus, indem ich ein­fach bin. Jetzt kann ich wert­frei und ohne Irri­ta­tio­nen pla­nen, For­mu­lare aus­fül­len (viel­leicht schaffe ich es ja end­lich mal mit den Zie­len) und ande­ren ver­meint­lich unspi­ri­tu­el­len Scha­ber­nack begehen.

Machst du mit?

P.S.:
Ich wollte dir ja den Buch­ti­tel ver­ra­ten. Just als ich den Blog been­det habe, ist das Buch vom Buch­satz zurück­ge­kom­men. Hier siehst du den Titel grad als Bild:

einfach-sein-tabi

Wer schreibt da?

Mein Name ist Tanja Bischof­ber­ger. Über das Sein zu schrei­ben ist im Grunde ein Wider­spruch. Was ohne Gren­zen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Den­noch liebe ich es, über Sein-Erfah­run­gen zu berich­ten. Dadurch öff­net sich viel­leicht hie und da eine Tür bei einem Men­schen, sich eben­falls auf die­sen wun­der­ba­ren Weg zu machen bzw. anzu­kom­men. Viel­leicht auch du?