Ad Astra — zu den Sternen

Michele Caballero Siamitras Kassube auf Pixabay
Michele Caballero Siami­tras Kas­sube auf Pix­abay

Über meinem Schreibtisch hängt ein Poster mit einem speziellen Auss­chnitt des Weltalls. Während der Arbeit blicke ich immer mal wieder auf das Bild, was in mir unmit­tel­bar das Gefühl von Gelassen­heit aus­löst. Gerne nehme ich dich mit auf eine kurze Reise durchs Uni­ver­sum und erzäh­le dir, was eine Raum­sonde mit der Erleuch­tung zu tun hat.

Pale blue dot — blassblauer Punkt

Am 5. Sep­tem­ber 1977 beförderte die NASA die Raum­sonde Voy­ager 1 in den Wel­traum. Ein Mis­sion­sziel war, Bilder des äusseren Plan­eten­sys­tems zur Erde zu senden, was sie fleis­sig und mit beein­druck­enden Resul­tat­en auch tat. Nach Abschluss dieser Auf­gabe, sollte die Kam­era abgestellt wer­den, um Strom zu sparen. Schliesslich dauerte die Reise bere­its 13 Jahre. Der Astronom Carl Sagan ver­an­lasste am 14. Feb­ru­ar 1990, die Sonde um 180° zu drehen, um aus dieser Per­spek­tive let­zte Fotos aufzunehmen. Dabei ent­stand ein Bild, welch­es als „pale blue dot — blass­blauer Punkt“ bekan­nt und aus­geze­ich­net wurde.

Möglicher­weise musst du das Foto etwas ver­grössern, um die Erde im recht­en Strahl zu ent­deck­en. Sie nimmt lediglich 12% eines Bild­punk­tes (Pix­el) ein.

Credits: NASA/JPL-Caltech
Cred­its: NASA/J­PL-Cal­tech

Zu diesem Zeit­punkt betrug die Dis­tanz zur Erde 6 Mil­liar­den Kilo­me­ter. Voy­ager 1 fliegt noch heute durch den inter­stel­laren Raum und sendet zuver­läs­sig Dat­en. Der voraus­sichtlich let­zte Kon­takt mit der Erde wird in den 2030er Jahren erwartet.

Gelassenheit und Demut

Was geht dir durch den Kopf, wenn du diesen winzi­gen Punkt siehst und weisst, dass du genau auf diesem Plan­eten leb­st, lieb­st und wirkst? Wird dir bei dieser Vorstel­lung eher schwindlig oder empfind­est du Dankbarkeit und Freude?

Diese Sicht auf die Erde löst in mir Gelassen­heit aus. Nicht alles ist so wichtig, wie ich glaube. Selb­st wenn ich mich in ein­er her­aus­fordern­den Sit­u­a­tion befinde, ist diese ver­schwindend klein, wenn ich aus 6 Mil­liar­den Kilo­me­ter Ent­fer­nung darauf blicke. Auch alle freudi­gen Momente wirken flüchtig und leicht wie ein Hauch des Windes, der über die Wan­gen stre­icht.

Die Tat­sache, dass mich etwas viel Grösseres, ja Unendlich­es wie das Uni­ver­sum umgibt und sog­ar alles durch­dringt, weckt in mir die Demut. Auch wenn ich meine Tat­en für edel und gut halte, im Grunde bewirke ich nichts. Denn es ist die schöpferische, unsicht­bare und intel­li­gente Kraft, die alles, was da ist, im Inner­sten zusam­men­hält. Der Blick auf den blass­blauen Punkt erin­nert mich daran, mein Ich-Gefühl im richti­gen Ver­hält­nis zu betra­cht­en. Ich ver­mag zwar For­men zu erschaf­fen und mich mit meinem Han­deln auszu­drück­en, aber es ist immer das Leben selb­st, das wirkt.

Ad Astra — zu den Sternen

Das All hat mich von früh­ester Kind­heit an fasziniert. Wahrschein­lich kan­nte ich die Plan­eten unseres Son­nen­sys­tems vor den Wochen­t­a­gen und die Apol­lo- und Space-Shut­tle-Mis­sio­nen vor dem ABC, jeden­falls kommt es mir heute so vor. Mein Vater erk­lärte mir den Ster­nen­him­mel und wir ver­sanken regelmäs­sig in den far­ben­fro­hen NASA-Bild­bän­den. Ich erin­nere mich genau, dass ich damals beim Anblick von Galax­ien, Ster­nen und Dunkel­wolken nie das Gefühl hat­te, es han­dle sich um etwas „da draussen“, weit Ent­fer­ntes und von mir Getren­ntes. Mir war stets, als blicke ich in mich selb­st hinein, als sei alles da, ganz unmit­tel­bar, im tief­sten Grund mein­er Seele.

Das führt mich nun zu einem Zitat von Dogen Zen­ji (1200–1253). Er war ein ein­flussre­ich­er Lehrer des Zen-Bud­dhis­mus.

Den Weg der Erleuch­tung ken­nen­ler­nen und meis­tern heisst,
sein wahres Selb­st ken­nen­ler­nen und meis­tern.
Sein wahres Selb­st ken­nen­ler­nen und meis­tern heisst,
sich selb­st vergessen.
Sich selb­st vergessen heisst,
mit dem ganzen Uni­ver­sum eins sein.

Die Erleuch­tung inter­essierte mich als Kind nicht die Bohne. Die Selb­stvergessen­heit gehörte hinge­gen ganz zum Priv­i­leg mein­er ersten Leben­s­jahre. Du erin­nerst dich sich­er auch daran, wie du im aus­ge­lasse­nen Spiel oder beim Beobacht­en eines Käfers Zeit und Raum um dich herum vergessen hast, du warst eins mit allem. Der Ruf zum Aben­dessen kam einem Erd­beben gle­ich, der heilige Moment war zer­stört und mün­dete nicht sel­ten in ein laut­starkes Dra­ma.

Als erwach­sen­er Men­sch fällt es dir möglicher­weise viel schw­er­er, diese kindliche Fähigkeit zur Selb­stvergessen­heit zu reak­tivieren. Aber glaube mir, sie ist immer noch da!

Im Grossen versinken

Vielle­icht magst du den Wel­traum nicht. Für viele Men­schen ist er der Inbe­griff für Ein­samkeit, Leere und Kälte. Dann suche dir etwas anderes, den Wald, das Meer oder die Berge. Die pure Natur wird dich immer zur Erken­nt­nis führen, dass in allem etwas viel Grösseres wirkt, als du es dir vorstellen kannst, du aber gle­ichzeit­ig selb­st ein Teil davon bist.

Je öfter du dich darin übst, dich selb­st auf diese Weise zu vergessen, indem du ganz in dieser unendlichen Grösse versinkst und ver­schwind­est, je mehr weit­et sich dein Bewusst­sein und eröffnet dir einen neuen Blick auf die Welt, die Men­schen, die Natur, das Leben. Du gib­st dich damit nicht etwa auf, son­dern du wächst über dich hin­aus.

Wer dann in deine Augen schaut, sieht das Funkeln und Strahlen, als wären es Sterne und gle­ichzeit­ig ein Echo der eige­nen Tiefe. Das ist Erleuch­tung, für dich, wie für andere. Du musst sie nicht suchen und nicht find­en, sie ist in jedem Moment der Selb­stvergessen­heit da.

*   *   *

Ich bin keine Eule, somit fehlt mir der Blick in den echt­en Ster­nen­him­mel, während ich arbeite. Also muss das Bild mit dem blass­blauen Punkt weit­er­hin genü­gen, um die Dinge im richti­gen Ver­hält­nis zu betra­cht­en.

Quellen und Tipps

Voy­ager 1 und 2 (NASA)
Pale blue dot (NASA)
Carl Sagan (Wikipedia)

Buch
Gedanken von Carl Sagan über den „Pale blue dot

Musik
Die finnis­che Musik­gruppe Nightwish nimmt in „All the Works of Nature Which Adorn the World — Ad Astra“ (YouTube) Bezug auf den „Pale blue dot“ und ein Zitat von Carl Sagan

einfach-sein-tabi

Wer schreibt da?

Mein Name ist Tan­ja Bischof­berg­er. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Wider­spruch. Was ohne Gren­zen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Den­noch liebe ich es, über Sein-Erfahrun­gen zu bericht­en. Dadurch öffnet sich vielle­icht hie und da eine Tür bei einem Men­schen, sich eben­falls auf diesen wun­der­baren Weg zu machen bzw. anzukom­men. Vielle­icht auch du?