Meditation über einen weinroten Pickel
einfach. sein. ist eine feine Sache: Alles annehmen, was grad geschieht und entsteht, denn alles ist, wie es ist. Bei einem Spaziergang durch den vom Frühling wachgeküssten Wald, mag das funktionieren. Vielleicht auch gerade noch, wenn jemand vor deiner Nase dein Lieblingsmüsli wegschnappt – das Universum meint wohl, dass dieser Mensch die Nährstoffe mehr gebrauchen kann als du. Ommmmm.
Aber gilt das auch für den Entstehungsprozess eines richtig fiesen und ekligen Pickels, der seine Grösse selbstverständlich zur falschen Zeit und vor allem am falschen Ort demonstrieren will? Ist meine viel geübte Gelassenheit wirklich bereit für diesen Härtetest? Lies’ weiter, und du wirst es erfahren.
Überraschung
Nichts ahnend sagte ich freudig zu, als ich für ein Referat angefragt wurde. Am Tag des Anlasses begrüsste ich wie jeden Morgen mein Spiegelbild und blickte in einen bodenlosen Abgrund… ähm falsch, auf eine verdächtig konkrete Erhebung. Ein weinroter Pickel hat während der Nacht am Kinn das Licht der Welt erblickt. Zu klein, um ihn auszudrücken, zu gross, um ihn zu übersehen. Und wie bei allen Ereignissen mit lebenseinschneidender Tragweite, stellte sich auch hier die Frage: Was will mir das jetzt sagen?
Erforschung
Ist es angebracht, der Ursache auf den Grund zu gehen, vielleicht muss ein karmischer Knoten in einem früheren Leben aufgelöst werden? Geht nicht, schamanische Rituale dauern viel zu lange, mir bleiben nur noch 2 Stunden.
Möglicherweise liegt der tiefere Sinn am Ende in der Absage des Auftritts? Kommt nicht in Frage, schliesslich wurde ICH angefragt, die wollen von MIR etwas hören. ICH bin ja soooo wichtig. Stopp! Da will mein Ego gerade selbst über sich hinauswachsen, wie der temporäre weinrote Makel.
Aber was werden all die Leute über mich denken, wenn sie meinen Pickel sehen? Und sie werden ihn sehen, schliesslich kennt Zoom keine Gnade und zeigt mein Gesicht im Grossformat. Oje, jetzt verkriecht sich auch noch das Selbstwertgefühl in seiner Höhle mitten im finsteren Wald. Das bringt mich alles echt nicht weiter.
Erkenntnis
Das Einzige, was jetzt hilft, ist kaltes Wasser im Gesicht. Und siehe da, innert Sekunden klart mein Geist wieder auf. Wie Schuppen fällt es mir von den Augen, dass ich mich im Grunde schon lange nicht mehr über irgendwelche Ungereimtheiten in meinem Gesicht oder in Alltagssituationen aufrege. Da hat sich wohl ein altes Gedankenmuster-Teufelchen einen Spass erlaubt und mich mal wieder ordentlich gepikst.
Die Erkenntnis-Dusche erfrischte mein Bewusstsein ungemein: Gehe ich auf die Suche nach der Ursache oder konstruiere Theorien als Erklärung für eine Situation (das darf ruhig auch etwas mehr als nur ein Pickel sein), bewege ich mich auf der relativen Ebene des Verstandes. Das mag für den Moment hilfreich erscheinen, ist in Wahrheit jedoch ein Rätselraten ohne Ende.
Gebe ich hingegen der Stille Raum, zeigt sich das Absolute in einer verblüffenden Einfachheit: Es ist, was es ist. Ohne Deutung und Bewertung, lediglich umhüllt von der unendlichen Weite und Freiheit des Seins.
Ausgang
Und wie ging’s weiter? Aus einem Stapel mit T‑Shirts blitze mich von ganz unten ein längst vergessenes Oberteil an, in genau derselben weinroten Farbe, mit der sich auch mein Pickel schmückte. Ton in Ton erschien mir als die beste Tarnung, und so referierte ich gelassen vor der Kamera, alles lief bestens. Den Pickel hat vermutlich niemand entdeckt, weil meine eigenen Gedanken-Scheinwerfer dieses unschuldige Malheur nicht mehr ausleuchteten.
Manchmal können die Dinge so einfach. sein.
Wer schreibt da?
Mein Name ist Tanja Bischofberger. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Widerspruch. Was ohne Grenzen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Dennoch liebe ich es, über Sein-Erfahrungen zu berichten. Dadurch öffnet sich vielleicht hie und da eine Tür bei einem Menschen, sich ebenfalls auf diesen wunderbaren Weg zu machen bzw. anzukommen. Vielleicht auch du?