Das Ego kitzeln

Feuer als Symbol für das Ego
Artur Pawlak auf Pix­abay

Ein winterlicher Selbstversuch

Vor ein paar Tagen stapfte ich an einem eiskalten Mor­gen durch den Schnee zu ein­er Feuer­stelle am Wal­drand. Im Gepäck schleppte ich alle meine Tage­büch­er mit. Nicht um sie gemütlich im Schein der lodern­den Flam­men zu lesen, son­dern sie vielmehr densel­ben zu übergeben. Ich wollte mit einem Test mein Ego etwas kitzeln. Ob das gelun­gen ist, erfährst du in diesem Blog.

Turbulenzen im Zeitgefühl

Einen Tag vor dieser Aktion hat­te ich mein Buch ins Kor­rek­torat geschickt, das heisst, inhaltliche Änderun­gen darf ich jet­zt nicht mehr machen. Vielle­icht erin­nerst du dich, dass ich ein Mem­oir ver­fasst habe. Das ist keine klas­sis­che Biografie (ich gehöre ja nicht zu den englis­chen Roy­als oder so ähn­lich). Ich beleuchte das The­ma Spir­i­tu­al­ität aus meinem per­sön­lichen Erleben her­aus. Meine Geschichte ist daher schon auch darin ver­woben. Denn wie soll sich Spir­i­tu­al­ität anders aus­drück­en, als durch unser Men­sch­sein?

Gegen Ende des Buch­es beschreibe ich, wie sich bei mir heute alles auf den gegen­wär­ti­gen Moment konzen­tri­ert, da nichts anderes vorhan­den ist, als das Jet­zt. Lediglich das Ego gaukelt mir eine per­sön­liche Ver­gan­gen­heit und eine eben­solche Zukun­ft vor. Das habe ich auch während des Schreibens fest­gestellt: Ich fühlte mich über­haupt nicht (mehr) an die Ver­gan­gen­heit gebun­den. Selb­stver­ständlich sind Erin­nerun­gen da, son­st hätte ich das Buch gar nicht ver­fassen kön­nen. Aber sie entste­hen sozusagen dann neu, wenn ich an sie denke und sie fühlen sich daher keineswegs «alt» an, son­dern frisch und leicht, selb­st die tragis­chen Begeben­heit­en. Der Schreibprozess wirk­te daher nicht als Ther­a­pie, son­dern bestand viel mehr aus der Her­aus­forderung, über­haupt wieder einen Bezug zu mein­er Ver­gan­gen­heit herzustellen. Dank den hand­schriftlichen Noti­zen hat­te ich immer­hin ein paar Fak­ten vor mir, das half unge­mein.

Gedankengut

Als ich vor allem in mein­er Jugendzeit Tage­büch­er schrieb, iden­ti­fizierte ich mich voll und ganz mit meinem dama­li­gen Men­sch­sein und den ab und wann etwas kuriosen Erfahrun­gen mit dieser Welt. Viele Gedanken habe ich niemals auf andere Men­schen los­ge­lassen. Zu gross war die Befürch­tung, nicht ver­standen zu wer­den. So hielt ich meine «echte» Iden­tität geheim und in geschrieben­er Form fest. Ich stellte mir vor, dass wenn das jemand nach meinem Tod liest, er oder sie mein wahres Ich ken­nen­lernte. Das wäre dann so eine Art krasse Enthül­lungssto­ry. Damals ahnte ich nichts von mein­er späteren Erfahrung, dass über­haupt gar kein Ich existiert… Da ist nur das eine Sein, aus dem alles entste­ht, immer im Jet­zt. Diesen spir­ituellen Weg habe ich in meinem Mem­oir fest­ge­hal­ten. Wozu brauche ich diese Tage­büch­er noch? Da kam mir die Idee, mein Ego etwas zu kitzeln, denn früher machte es ein unglaublich­es The­ater, wenn irgen­det­was aus der Ver­gan­gen­heit infrage gestellt oder gar ver­nichtet wurde.

Und wo ist jetzt das Ego?

Während ich also Blatt für Blatt den Flam­men über­gab, regte sich über­haupt nichts. Nicht der ger­ing­ste Muks (huch, warum wird das jet­zt plöt­zlich so heiss?), kein Protest (wie kannst du mir das nur antun!), kein Gejam­mer (aber wie soll ich mich jet­zt an diese frühere Zeit erin­nern?) und kein Dra­ma (so wird die Welt ja nie erfahren, welch’ über­aus tief­schür­fend­en Gedanken ich damals zu Papi­er brachte!). Das war voll friedlich, die gefräs­si­gen Flam­men bei ihrer Arbeit zu beobacht­en.

Erinnerungen ohne Anhaftung

Das soll jet­zt kein Aufruf sein, deine Ver­gan­gen­heit eben­so in Schutt und Asche zu leg­en. Auch die Erfahrung, wie ich dieses Rit­u­al erlebt habe, will ich keines­falls über­be­w­erten und als erstrebenswert deklar­i­eren. Es ist wie es ist.
Wenn du aber mal kurz check­en willst, wie kit­zlig dein Ego ist, reicht ein Gedanken­spiel. Was wäre, wenn auf ein­mal alle Fotos auf deinem Handy, auf Insta­gram & Co., im klas­sis­chen Fotoal­bum etc. gelöscht oder ver­schwun­den wären? Oder welch­er Gegen­stand aus dein­er Ver­gan­gen­heit ist dir sehr wichtig und wie würdest du dich ohne ihn fühlen?

Erin­nerun­gen sind men­schlich und über­haupt nicht verkehrt, egal ob schön oder nicht. Inter­es­sant ist, wie sehr du dich damit iden­ti­fizierst. Musst du sie fast zwang­haft immer wieder her­vor­holen? Fühlst du dich dann gut oder eher schlecht? Kannst du den gegen­wär­ti­gen Moment wahrnehmen, ohne einen Ver­gle­ich zu früher herzustellen? Eine Ver­gan­gen­heit zu haben, aber sie nicht zu sein, das macht den wirk­lich grossen Unter­schied. Das lässt dich frei fliegen.

Vielle­icht magst du mir mit­teilen, ob dein Ego kit­zlig ist?

P.S.:
Solch lodernde Flam­men wie auf dem Bild kriegte ich mit dem nassen Holz nicht hin, trotz ein­schlägi­gen Erfahrun­gen von zig Über­leben­sübun­gen in der Pfa­di / Blau­r­ing.

einfach-sein-tabi

Wer schreibt da?

Mein Name ist Tan­ja Bischof­berg­er. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Wider­spruch. Was ohne Gren­zen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Den­noch liebe ich es, über Sein-Erfahrun­gen zu bericht­en. Dadurch öffnet sich vielle­icht hie und da eine Tür bei einem Men­schen, sich eben­falls auf diesen wun­der­baren Weg zu machen bzw. anzukom­men. Vielle­icht auch du?