Frieden im Chaos

Matt Palmer auf Unsplash
Matt Palmer auf Unsplash

Ein Fragebogen…

Vor ein paar Tagen bin ich auf eine Umfrage ein­er spir­ituellen Organ­i­sa­tion gestossen, die wis­sen wollte, was die aktuelle Welt­lage (Kli­ma, Coro­na, Krieg etc.) mit den Men­schen macht. Zwis­chen­durch fülle ich ganz gerne Frage­bö­gen aus. Bei ein­er Frage musste ich einen Moment innehal­ten:

Haben Sie das Gefühl, von sich­er Geglaubtem Abschied nehmen zu müssen?

Auswahl:

  1. Ja, ich merke, dass ich Nachteile und Ein­bussen in Kauf nehmen muss
  2. Weiss ich lei­der nicht mehr 🙂
  3. Nein, die Krisen beschäfti­gen mich per­sön­lich nicht

Mir schien, dass sich das Nein von Num­mer drei ver­mut­lich auf eine Art Gle­ichgültigkeit bezieht, was bei mir über­haupt nicht der Fall ist. Trotz­dem erin­nerte mich diese Aus­gangslage an ein Dilem­ma aus mein­er Jugendzeit: Darf ich inner­lich im Frieden sein, wenn draussen das Chaos herrscht? Heute empfinde ich das nicht mehr als Wider­spruch, weil ich die Ein­heit von solchen Gegen­sätzen erfahren durfte. Bei­des entstammt dem Sein.

Doppelte Auswahl

Zurück zum Frage­bo­gen. O Wun­der, ich kon­nte tat­säch­lich mehrere Antworten angeben (das ist bei Online-Umfra­gen nicht immer möglich) und zudem einen Kom­men­tar hin­schreiben:

«Zum Glück kann ich zwei Kästchen ankreuzen. Wenn ich nach innen schaue, mich dem göt­tlichen Frieden hingebe, dann ist da kein Gefühl von Abschied oder Verzicht. Da ist Fülle, Licht, Ver­bun­den­heit, Ewigkeit. Schaue ich aber nach aussen in die Welt, in der ich mich als Men­sch bewege und Teil davon bin, dann muss ich sehr wohl Ein­bussen in Kauf nehmen. Wie soll es eine Verän­derung geben, wenn alle denken, wir kön­nen so weit­er­leben, wie wir es gewohnt sind? Vielle­icht fällt es mir etwas leichter, aktiv auf diese Verän­derung, diese Ein­bussen, zuzuge­hen, weil meine Innen­welt, dieser innere Frieden, nach Aussen streben will. Denn das Innere und das Äussere sind in Wahrheit eins.»

Während ich diesen Kom­men­tar schrieb melde­ten sich alt­bekan­nte Gedanken­muster: Du hast leicht schreiben, dir geht es ja gut, du bist im Moment sich­er, hast ein Dach über dem Kopf, Essen und bist gesund. Aber würde dieses innere Licht auch noch bren­nen, wenn du wirk­lich in echter exis­ten­zieller Not wärst?
Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung.

Echte Seins-Erfahrung

Da griff ich wieder ein­mal zu den Tage­büch­ern von Etty Hille­sum (vgl. den Blog­beitrag Das Leben ist schön), der nieder­ländis­chen Jüdin, die für mich mit ihrer inneren Hal­tung ein Vor­bild ist. Aus dem Durch­gangslager West­er­bork, täglich kon­fron­tiert mit Leid und Tod, schrieb sie am 11. August 1943 fol­gen­des in einem Brief:

(…)
«Ach, weisst du, wenn man hier nicht eine grosse innere Stärke besitzt und alle Äusser­lichkeit­en nicht als malerische Neben­säch­lichkeit­en betra­chtet, die kaum ins Gewicht fall­en gegenüber der grossen Her­rlichkeit (mir fällt im Augen­blick kein anderes Wort ein), die unser unveräusser­lich­er inner­er Besitz sein kann — dann ist es hier recht hoff­nungs­los.»
(…)
«Die Men­schen sagen manch­mal: «Du machst auch über­all das Beste draus.». Ich halte das für eine klein­mütige Reden­sart. Es ist über­all gut. Und gle­ichzeit­ig sehr schlecht. Bei­des hält sich im Gle­ichgewicht, über­all und immer. Ich habe nie das Gefühl, dass ich aus irgend etwas das Beste machen muss, alles ist immer gut, so wie es ist. Jede Sit­u­a­tion, so elend sie auch sei, ist etwas Absolutes und das Gute und Schlechte in sich eingeschlossen.»
(…)

In ihren Tex­ten ist diese Kraft spür­bar, sie wirkt inspiri­erend, belebend und schenkt Hoff­nung. Über­lebende aus dem KZ Auschwitz haben berichtet, dass Etty bis zu ihrer Ermor­dung eine «leuch­t­ende Per­sön­lichkeit» war und immer anderen Men­schen beige­s­tanden ist. Ja, der innere Friede im Chaos ist möglich.

Der Weg der Stille

Doch wie ist diese innere Stärke, das Absolute zu find­en? Für mich per­sön­lich war es der Weg der Stille. Ver­mut­lich deshalb, weil mein Kopf jahre­lang ein recht anstren­gen­des Plap­per­maul war… Und es dauert eine ganze Weile, bis ich das Geplaud­er durch­schauen kon­nte. Die Gedanken im Kopf sind Ursache für manch­es Leid. Erst wenn die Fähigkeit da ist, diese ein- und auszuschal­ten, begin­nt die Frei­heit.

In der Stille öff­nen sich Tür und Tor zu dem, was du in Wahrheit bist. Dadurch leeren sich die Gedanken und mit den Gedanken die damit ver­bun­den Gefüh­le von Angst, Hoff­nungslosigkeit und Ohn­macht. Zulet­zt lösen sich die Fes­seln der Iden­ti­fika­tion und das Gefühl, ein vom Göt­tlichen getren­ntes Ich zu sein. Dann erfährst du in dir die Unsterblichkeit und geglaubte Gegen­sätze wer­den eins im Sein, das du bist.

P.S.: Vielle­icht willst du das mit der Stille auch mal aus­pro­bieren? Hier geht’s zur Med­i­ta­tion: ein­fach. STILL. sein.

einfach-sein-tabi

Wer schreibt da?

Mein Name ist Tan­ja Bischof­berg­er. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Wider­spruch. Was ohne Gren­zen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Den­noch liebe ich es, über Sein-Erfahrun­gen zu bericht­en. Dadurch öffnet sich vielle­icht hie und da eine Tür bei einem Men­schen, sich eben­falls auf diesen wun­der­baren Weg zu machen bzw. anzukom­men. Vielle­icht auch du?