Zwischen gestern und morgen
Was liegt zwischen dem Gestern und dem Morgen? Glücklicherweise gibt’s da keine Lücke (deshalb geht auch nie jemand beim Jahreswechsel verloren). Trotzdem ist etwas da, nämlich das Einzige, was wirklich real ist: Die Gegenwart. Der kürzliche Übergang ins 2022 hat bei mir ein paar Gedankengänge ausgelöst. Vielleicht hast du auch ein bestimmtes Ritual gepflegt?
Rückblick
Auffallend oft flatterten anfangs Januar umfangreiche Jahresrückblicke in mein Postfach oder in den Newsfeed auf Facebook. Beeindruckend, was diese Menschen alles erlebt und gelernt haben und wie sie teilweise über sich hinaus gewachsen sind. Über die Vergangenheit zu reflektieren ist ein wertvolles Ritual, aus dem viel Kraft gewonnen wird und auch therapeutisch eine grosse Wirksamkeit hat.
Ausblick
Ebenso oft entdeckte ich im Verlauf des vergangenen Dezembers Angebote für Rituale während der Raunächte. Einen grossen Teil stufte ich als seriös und heilsam ein, andere erinnerten mich an wahre Wunschkonzerte à la rosa Pony inklusive Märchenprinz. Weisst du übrigens, dass du unter gar keinen Umständen während der Raunächte die Wäsche draussen aufhängen sollst? Nicht etwa aus klimatischen Gründen (wer will schon in einen stocksteifgefrorenen Pyjama schlüpfen), sondern weil sich darin Dämonen verfangen könnten. Die gelangen auf dieses Weise eingewickelt ins Haus, wärmen sich in der Stube auf und treiben dann ihr Unwesen. Natürlich liegt der Ursprung in den alten Zeiten, Bräuchen, Lebensumständen (Tumbler gab es damals noch keine) und Glaubensvorstellungen. Back to the roots in allen Ehren, aber bitte nicht, wenn es um meinen kuscheligen Pyjama geht…
Zeitliche Bindung
Worauf ich hinaus will: Beide Rituale sind (mehr oder weniger) an eine Zeit gebunden. Die Jahresrückblicke an die Vergangenheit, die Wunsch-Raunachts-Tradition an die Zukunft. Ich persönlich habe bei keiner Aktion mitgemacht, weil ich mit dem Thema Zeit grad selbst sehr spannende Dinge erlebe.
Während des Schreibens an meinem Memoir muss ich mich gezwungenermassen in die Vergangenheit versetzen. Da es meine eigene ist, sollte das kein Problem sein. Denkste. Seit längerer Zeit konzentriere ich mich darauf, ganz im Jetzt zu leben. Vermutlich fühlt sich deshalb der Akt des Erinnerns irgendwie anstrengender an. Nicht dass mich mein Gedächtnis im Stich lassen würde. Lediglich die Identifikation mit der Vergangenheit scheint sich immer mehr zu verflüchtigen. Ereignisse, egal wie prägend, fühlen sich an wie ein Windhauch, zwar spürbar, als ein Teil von mir, und dennoch kaum mehr greifbar.
Als Gegenstück wurde ich für einen Vortragstermin im Januar 2023 angefragt. Ja, 2023! Auch das löste ein leichtes metaphysisches Gruseln aus: Wenn nur die Gegenwart real ist, dann ist das Jahr 2023 so was von irreal! Nun gut, der Termin existiert zumindest jetzt als Eintrag in meiner Agenda. Alles andere steht in den Sternen.
Gegenwärtigkeit
Hast du schon einmal versucht, dich ganz der Gegenwärtigkeit hinzugeben? Ein Experiment, das ich dir wärmsten empfehle. In diesem jetzigen Moment löst du dich von der zeitlich gebundenen Ursache in der Vergangenheit oder einem Wunsch für die Zukunft. Nimm’ diese geballte Kraft des Momentes in dir wahr. Alles was war, was du je erlebt, gefühlt und gelernt hast, ist in diesem Augenblick in dir vorhanden (auch wenn du dich nicht bewusst daran erinnerst). Gleichzeitig ist das gesamte Potenzial an Möglichkeiten für alles Zukünftige ebenfalls genau jetzt präsent, ohne dass du dir etwas vorstellen musst.
Ein konkretes Beispiel gefällig? Wähle ein Ereignis, welches in dir ein negatives Gefühl ausgelöst hat (für diese Übung bitte kein noch aktives Trauma verwenden). Vielleicht wurdest du übergangen und fühltest dich verletzt. Gehe ganz in diese Emotion rein, sodass du sie wirklich spürst. Und dann löse dich von der damit verknüpften Ursache (hier das Übergangenwerden) und versuche, nur das Gefühl zu halten. Du wirst erleben, dass dies nicht möglich ist. Das negative Gefühl braucht den Bezug zur zeitlich festgemachten Ursache. Diese Verbindung fehlt jedoch in der jetzigen Gegenwart.
Auch wenn du dich positiven Gefühlen hingibst, z. B. bei Manifestationsübungen, sind sie durchaus real empfindbar, verflüchtigen sich jedoch, sobald du sie von den vorgestellten und gewünschten zukünftigen Bedingungen löst.
Die Liebe ausdehnen
Eine Ausnahme ist die Liebe. Tauche für dieses Experiment ganz in die Liebe ein, die du für eine Person empfindest. So richtig, dass du sie in jeder Zelle spürst. Wage nun die Loslösung von der mit diesem Gefühl verbundenen Person (keine Sorge du entliebst dich deswegen nicht :-)). Was geschieht? Die Liebe wird nicht weniger oder verschwindet, im Gegenteil: Sie dehnt sich aus und bleibt nicht auf einen oder einige Menschen beschränkt. Du begreifst die wahre Natur der Liebe und erkennst mehr und mehr, dass du selbst die Liebe BIST und somit alles durchdringst. Da ist keine Trennung mehr zwischen dir und der anderen Person, zwischen dir und allem, was dich umgibt. Alles ist eins.
* * *
In der Gegenwärtigkeit fällt alles auf einen winzigen Punkt zusammen, alles Vergangene, Zukünftige, Materielle, Geistige, jedes Gefühl, jede Tat, jede Hoffnung. In dieser Winzigkeit liegt die unendliche kreative Kraft des Seins, in jedem Moment, gerade jetzt. Spürst du’s?
P.S.:
Die Stille führt dich immer in die Gegenwärtigkeit. Schau› mal hier vorbei: einfach. STILL. sein.
Wer schreibt da?
Mein Name ist Tanja Bischofberger. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Widerspruch. Was ohne Grenzen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Dennoch liebe ich es, über Sein-Erfahrungen zu berichten. Dadurch öffnet sich vielleicht hie und da eine Tür bei einem Menschen, sich ebenfalls auf diesen wunderbaren Weg zu machen bzw. anzukommen. Vielleicht auch du?