Die Doppelnatur des Menschen – Teil 2
Im letzten Blog habe ich mich auf eine Spurensuche begeben, wie sich die Doppelnatur des Menschen ausdrücken kann. Vielleicht hast du dich dabei gefragt, warum diese zweifache Natur überhaupt notwendig ist. Genügt es nicht, einfach nur Mensch zu sein, sozusagen ohne diesen doppelten Boden? Bestimmt hast du eine längere Zeit geglaubt, dass das Menschsein alles ist. Doch tief in deinem Innern ahnst du: Da ist noch mehr.
Warum braucht das Sein überhaupt eine Form?
Gehen wir wiederum von der Annahme aus, dass die wahre Wesensnatur von uns allen reines Bewusstsein ist (ich nenne es gerne nur das Sein). Okay. So ein Bewusstsein kann man sich ja auch wahnsinnig gut vorstellen: Da existiert etwas, ohne Anfang oder Ende, ohne Zeit und Raum. Dieses Nichts, ist gleichzeitig gänzlich gefüllt mit unendlichen kreativen Möglichkeiten. Ist jetzt alles klar? 😉
Das Bewusstsein findet diesen Zustand vermutlich auch etwas doof. Es kann sich selbst nämlich nicht erkennen, weil da nichts und gleichzeitig alles zu erkennen ist. Also verdichtet es sich zu unterschiedlichen Formen und erschafft damit die Dualität. Diese relative Realität, in der wir alle leben, ist stets vergänglich. Das Sein erlebt sich selbst durch diese begrenzte Gestalt hindurch und erfährt, wie es sich ausdrückt und etwas bewirkt. Das ist wie beim Wind. Der ist unsichtbar, zeigt sein Dasein jedoch durch ein aufgeblähtes Segel oder eine wehende Fahne.
Und weil dieses unendliche Potenzial vorhanden ist, schafft sich das Bewusstsein unendlich viele Formen. Unter anderem, unter ganz viel anderem, auch den Menschen, auch dich.
Eine kulinarische Metapher
Um das vielleicht etwas verständlicher zu erklären, schwinge ich ausnahmsweise mal den Kochlöffel. Stell dir vor, du möchtest etwas backen, ein Brot, einen Kuchen, ein Soufflé. Die Zutaten hast du alle zu einer homogenen Masse verrührt. Wie bekommst du das Ganze nun in den Ofen? Genau, du nimmst dir eine Form. Damit der Teig aufgeht und essbar wird, braucht er eine Begrenzung = Kuchenform. Getrieben von der Hitze schmiegt sich der Teig nun an die Form, sie verschmelzen sozusagen. Wie hartnäckig diese Verbindung sein kann, erfährst du dann, wenn du den fertigen Kuchen aus der Form lösen willst.
Das Problem mit der Identifikation
Du ahnst es schon, der Teig steht für das Bewusstsein, die Form in diesem Beispiel für den menschlichen Körper.
Das erschaffende Bewusstsein (Teig) ist gleichzeitig auch das erschaffene Geschöpf (Mensch). Das ist recht verwirrend. Vermutlich vergessen wir deshalb diese Tatsache nach unserer Geburt bzw. weil wir von unserem Umfeld anders konditioniert werden: Der Mensch ist ein eigenständiges Wesen, weit erhaben über allem, was existiert, mit einem ansehnlichen Mass an Intelligenz bestückt und von der Idee getrieben, in diesem einen Leben möglichst viel zu erreichen und zu besitzen.
Mit dieser Ausgangslage liegt es auf der Hand, dass sich der Mensch immer mehr mit dem Menschsein (also der Form) identifiziert. Er vergisst, dass er in Wahrheit der ewige Teig ist, der die Form erschaffen hat. Spätestens am Ende des Lebens kehrt dieses Bewusstsein jedoch zurück, wenn sich die Form wieder auflöst (hier hinkt die Back-Metapher, ich weiss. Da wird der Kuchen nämlich aufgegessen und die Form bleibt ewig…).
Jetzt hilft nur noch die Butter, äh die Stille
Wie gesagt, am Ende deines Lebens klärt sich mit dem Tod die ganze Verwirrung von selbst. Doch was wäre, wenn du schon jetzt erkennst, dass du der ewige Teig bist? Du erinnerst dich: Die Masse schmiegt sich an die Form. Und wenn da keine Butter oder ein Teflon-Haftbelag dazwischen ist, braucht es manchmal die Gewalt eines Messers, um an die Leckerei zu kommen.
Als menschliche Form kommst du deiner wahren Natur am nächsten, wenn du in die Stille gehst, denn das Sein ist die Stille, und du kannst als Mensch Stille erleben. Unbewusst tust du dies jede Nacht, wie ich im Blog über den paradoxen Schlaf geschrieben habe. Ich plädiere jedoch für eine bewusste Erfahrung und empfehle daher das Sitzen in der Stille. Ohne Vorstellung, ohne Erwartung, ohne Musik, ohne verknotete Körperhaltung, ohne Räucherstäbchen, ohne alles.
Sollte jetzt in dir Protest aufkommen und «das kann ich nicht!» schreien, dann hast du grad ein wunderbares Exemplar einer Identifikation mit einem Gedanken. Dieser legt dir vermutlich sehr überzeugend dar, dass du ein Bewegungsmensch bist und beim still sein einschläfst. Im Grunde ist das nur dein Ego, welches unbedingt verhindern will, dass du deine wahre Natur erkennst. Es hat Angst, dann keinen Job mehr zu haben, immerhin hält es jetzt den Teig an Ort und Stelle.
Die Kraft der Stille
Die Stille ist die optimale Übungs- und Erfahrungsmöglichkeit, deiner Doppelnatur auf die Spur zu kommen. Und das erst noch kostenlos und mit einer 24/7‑Verfügbarkeit.
Setze dich bequem hin, schliesse die Augen und schau’ einfach mal, was passiert. Vermutlich steigen viele Gedanken hoch. Achte für einmal nicht auf deren Inhalt, sondern werde dir der Tatsache bewusst, dass du deine Gedanken beobachten kannst, wenn sie wie aus dem Nichts plötzlich auftauchen. Dies ist nur möglich, weil du dich in dem Moment nicht mit den Gedanken selbst identifizierst. Im Alltag fühlt es sich meistens so an, dass du glaubst, untrennbar mit dem Gedanken verbunden zu sein. Schliesslich bis du es, der oder die denkt, ganz getreu dem Zitat von Descartes: «Ich denke, also bin ich».
In der Stille hast du die Möglichkeit, diese Perspektive zu verlassen und dir beim Denken zuzusehen. Das Gleiche gilt auch für die Gefühle und die Identifikation mit dem Körper. Es geht dabei nicht darum, etwas abzulehnen, sondern viel mehr um das Gegenteil: Erfahre die stille intelligente und kreative Kraft dahinter, die dein ganzes Erleben überhaupt erst ermöglicht.
Mit der Zeit werden deine Gedanken auch im Alltag weniger und du wirst achtsamer und flexibler im Gewahrsein, was deine menschliche und was deine wahre Natur ist. Und du verlierst dadurch auch die Angst vor dem Tod. Wenn der letzte Moment kommt, ob früher oder später, löst du dich leichter von deiner menschlichen Daseinsform. Du weisst schon, wegen der Butter kennst du bereits einen ersten Geschmack der Ewigkeit.
Deine eigene Erfahrung
Mit Hilfe der Stille überprüfst du zudem, ob das alles stimmt, was ich hier schreibe oder was in ähnlicher Form in Büchern steht oder in Videos erzählt wird. Glaube nicht einfach meinen Worten, sondern prüfe alles nach. Wenn du in dir die Sehnsucht nach der Wahrheit spürst, dann verbringe Zeit in der Stille. Mit Geduld und Hingabe wirst du alle Antworten in dir selbst finden und damit verbunden einen tiefen Frieden, Dankbarkeit und Demut vor dem Leben.
Auf bald!
P.S.:
Wenn du einen ersten Versuch mit der Stille wagen möchtest und du am Anfang gerne einer Anleitung folgst, kann dir vielleicht meine geführte Meditation «einfach. STILL. sein.» als Einstieg helfen.
Wer schreibt da?
Mein Name ist Tanja Bischofberger. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Widerspruch. Was ohne Grenzen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Dennoch liebe ich es, über Sein-Erfahrungen zu berichten. Dadurch öffnet sich vielleicht hie und da eine Tür bei einem Menschen, sich ebenfalls auf diesen wunderbaren Weg zu machen bzw. anzukommen. Vielleicht auch du?