Paradoxer Schlaf

Person die an einem Tisch schläft
Bild von Cdd20 auf Pix­abay

Kür­zlich tauchte in einem Gespräch die Frage auf, was es einem bringt, sich um das Sein zu bemühen oder was sich ändert, wenn man im Sein ist. Du ahnst es vielle­icht schon, die Antwort darauf ist nicht ganz so ein­fach. Zusam­menge­fasst kön­nte sie heis­sen: Es ändert sich alles und gle­ichzeit­ig nichts. Das Para­doxe ist im Sein eine Art Dauerzu­s­tand und damit ein guter Grund, um etwas Klarheit zu schaf­fen.

Wer bin ich?

Das ist eine der ältesten Fra­gen der Men­schheit über­haupt und sie führt direkt zum Sein. Fragst du dich also „Wer bin ich?“, gib­st du dir sel­ber zur Antwort, dass du so und so heisst, dann geboren wur­dest, diese kör­per­lichen Merk­male hast, diesen Beruf erlernt hast, hier wohnst, jene Vision vom Leben hast, dich für die Umwelt ein­set­zt und dir den Welt­frieden wün­schst (nicht böse sein, die etwas triv­iale Beschrei­bung ist beab­sichtigt).

Damit beschreib­st du deine Per­sön­lichkeit. Diese Wahrnehmung der Real­ität genügt den meis­ten Men­schen vol­lkom­men (sie ist ja oft kom­pliziert genug). Fragst du dich aber weit­er „Was ist jen­seits mein­er Per­sön­lichkeit?“, lautet deine Antwort ver­mut­lich: „Nichts. Ich existiere ja nur, weil ich eben all das bin, was ich oben beschrieben habe. Wenn ich das nicht mehr bin, dann bin ich tot.“

Der Schlaf macht den Unterschied

Möglicher­weise hört es sich etwas schauer­lich an, aber stell dir ein­mal vor, dass du auch dann noch existierst, wenn du das Bewusst­sein über deine Per­sön­lichkeit nicht mehr hast. Schwierig? Dann nehmen wir den Schlaf zu Hil­fe. Jede Nacht ver­lierst du spätestens in der Tief­schlaf­phase den Bezug zu dir als Per­son. Es ist sog­ar krass­er: Neuste Forschun­gen zeigen, dass sich das Bewusst­sein in der Non-REM-Phase (also dann, wenn sich deine geschlosse­nen Augen nicht bewe­gen) alle 25 Sekun­den ein- und auss­chal­tet. Du bist somit regelmäs­sig für 25 Sekun­den kom­plett offline und würdest nicht aufwachen, wenn genau in dieser Zeit deine Katze auf das Bett hüpft.

Nichts oder doch alles?

Während den nächtlichen Absen­zen bist du aber immer noch du. Alles bleibt, wie es ist. Dein Kör­p­er ver­richtet seine Arbeit und deine Per­sön­lichkeit mit allen Vor­lieben, Fähigkeit­en und Schwächen bleibt beste­hen, nur bist du dir dessen nicht bewusst. Also existiert eine Real­ität jen­seits dein­er Per­sön­lichkeit. Selb­st das Nichts ist mehr als nichts, denn son­st würdest du am näch­sten Mor­gen nicht erholt aufwachen.

Wenn du mutig bist, wagst du dich jet­zt noch einen Schritt weit­er vor und nimmst ein­fach mal an, dass dieses Nichts gle­ichzeit­ig auch das Alles sein kön­nte, das was in allem enthal­ten ist, alles zusam­men­hält und durch­dringt. Die unsicht­bare Lebensen­ergie par excel­lance. Bist du ein spir­itueller Men­sch, passen Begriffe wie uni­verselle Kraft, Quelle, das Göt­tliche oder eben das Sein.

Des Nachts befind­est du dich somit in dein­er wahren Natur — dem Sein. Wobei ich wahr nicht als Gegen­teil von falsch meine, son­dern im Sinne von abso­lut, unverän­der­lich und ewig.

Ein gerechtes Dilemma

Am Mor­gen wachst du auf, dein Bewusst­sein ist wieder dort wo es hinge­hört und du beginnst mit dem Tag­w­erk. Deine Physis und Per­sön­lichkeit empfind­est du ab dem Klin­geln des Weck­ers als die einzig wahre Real­ität, dabei ist sie rel­a­tiv, da verän­der­lich und vergänglich. Der nächtliche Aus­flug in das Sein ist vergessen. Ein blödes Dilem­ma, aber immer­hin gerecht. Nacht für Nacht wird jed­er Men­sch zu sein­er wahren Natur hinge­zo­gen, egal ob arm oder reich, gut oder böse, spir­ituell oder ratio­nal.
Du hast die Fähigkeit, dieses Dilem­ma zu lösen, wenn es dir wichtig ist und du Freude daran hast.

Ein Weg von vielen

Deine wahre Natur lässt sich näm­lich im Wach-Bewusst­sein erfahren. Eine Möglichkeit von vie­len ist die Arbeit mit der Frage „Wer bin ich?“. Zieh’ dich in die Stille zurück und stelle sie dir. Richte dabei den Schein­wer­fer der Aufmerk­samkeit nicht auf deine Per­sön­lichkeit, son­dern auf das, was dahin­ter ist und dir nachts immer entwischt. Wenn sich eine Antwort in Form von Gedanken zeigt, befind­est du dich noch auf der rel­a­tiv­en Ebene, bei dein­er Per­sön­lichkeit. Frage weit­er „Wer bin ich ohne diesen Gedanken, dieses Gefühl etc.?“ So dringst du weit­er in die Tiefe vor, bis du selb­st die Stille bist, nichts und alles zugle­ich. Das Sein zeigt sich als absolute Erfahrung und nicht als Zus­tand oder gar als ein Gefühl, denn bei­des ist unbeständig.

Und das soll’s jetzt bringen?

Das entschei­dest du. Sei dir gewiss: Das direk­te para­doxe Erleben des Seins befähigt dich, die rel­a­tive Real­ität von der absoluten zu unter­schei­den. Und das ändert ein­fach alles und gle­ichzeit­ig nichts. Du bleib­st du, mit allem, was dich aus­macht. Der grosse Unter­schied liegt darin, das Bewusst­sein über deine wahre Natur aus der Versenkung des Tief­schlafs hin­auf in den All­t­ag zu holen. Dadurch tritt deine Per­sön­lichkeit in den Hin­ter­grund und eröffnet dir einen neuen Blick auf dein Leben.

Beispiel­sweise beziehst du nicht mehr alles automa­tisch auf dich und fühlst dich deswe­gen ange­grif­f­en oder ver­let­zt. Dein Tun wird frei von (meist ver­steck­ten) eigen­nützi­gen Motiv­en. Du erkennst die Flüchtigkeit dein­er Emo­tio­nen und eine neue Flex­i­bil­ität und Weite in deinen Gedanken. Zudem wirst du unab­hängig von äusseren Bestä­ti­gun­gen, die deinem Ego schme­icheln. Was für eine Frei­heit! Ver­mut­lich wird dadurch nicht sofort der Welt­friede ein­geläutet. Dein inner­er Friede hinge­gen schon, und der ist für die Welt um dich herum sehr wohl spür­bar.

P.S.: Wenn du mehr über die erwäh­nte Schlaf-Studie lesen möcht­est, hier der Link (englisch).

einfach-sein-tabi

Wer schreibt da?

Mein Name ist Tan­ja Bischof­berg­er. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Wider­spruch. Was ohne Gren­zen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Den­noch liebe ich es, über Sein-Erfahrun­gen zu bericht­en. Dadurch öffnet sich vielle­icht hie und da eine Tür bei einem Men­schen, sich eben­falls auf diesen wun­der­baren Weg zu machen bzw. anzukom­men. Vielle­icht auch du?