Paradoxer Schlaf
Kürzlich tauchte in einem Gespräch die Frage auf, was es einem bringt, sich um das Sein zu bemühen oder was sich ändert, wenn man im Sein ist. Du ahnst es vielleicht schon, die Antwort darauf ist nicht ganz so einfach. Zusammengefasst könnte sie heissen: Es ändert sich alles und gleichzeitig nichts. Das Paradoxe ist im Sein eine Art Dauerzustand und damit ein guter Grund, um etwas Klarheit zu schaffen.
Wer bin ich?
Das ist eine der ältesten Fragen der Menschheit überhaupt und sie führt direkt zum Sein. Fragst du dich also „Wer bin ich?“, gibst du dir selber zur Antwort, dass du so und so heisst, dann geboren wurdest, diese körperlichen Merkmale hast, diesen Beruf erlernt hast, hier wohnst, jene Vision vom Leben hast, dich für die Umwelt einsetzt und dir den Weltfrieden wünschst (nicht böse sein, die etwas triviale Beschreibung ist beabsichtigt).
Damit beschreibst du deine Persönlichkeit. Diese Wahrnehmung der Realität genügt den meisten Menschen vollkommen (sie ist ja oft kompliziert genug). Fragst du dich aber weiter „Was ist jenseits meiner Persönlichkeit?“, lautet deine Antwort vermutlich: „Nichts. Ich existiere ja nur, weil ich eben all das bin, was ich oben beschrieben habe. Wenn ich das nicht mehr bin, dann bin ich tot.“
Der Schlaf macht den Unterschied
Möglicherweise hört es sich etwas schauerlich an, aber stell dir einmal vor, dass du auch dann noch existierst, wenn du das Bewusstsein über deine Persönlichkeit nicht mehr hast. Schwierig? Dann nehmen wir den Schlaf zu Hilfe. Jede Nacht verlierst du spätestens in der Tiefschlafphase den Bezug zu dir als Person. Es ist sogar krasser: Neuste Forschungen zeigen, dass sich das Bewusstsein in der Non-REM-Phase (also dann, wenn sich deine geschlossenen Augen nicht bewegen) alle 25 Sekunden ein- und ausschaltet. Du bist somit regelmässig für 25 Sekunden komplett offline und würdest nicht aufwachen, wenn genau in dieser Zeit deine Katze auf das Bett hüpft.
Nichts oder doch alles?
Während den nächtlichen Absenzen bist du aber immer noch du. Alles bleibt, wie es ist. Dein Körper verrichtet seine Arbeit und deine Persönlichkeit mit allen Vorlieben, Fähigkeiten und Schwächen bleibt bestehen, nur bist du dir dessen nicht bewusst. Also existiert eine Realität jenseits deiner Persönlichkeit. Selbst das Nichts ist mehr als nichts, denn sonst würdest du am nächsten Morgen nicht erholt aufwachen.
Wenn du mutig bist, wagst du dich jetzt noch einen Schritt weiter vor und nimmst einfach mal an, dass dieses Nichts gleichzeitig auch das Alles sein könnte, das was in allem enthalten ist, alles zusammenhält und durchdringt. Die unsichtbare Lebensenergie par excellance. Bist du ein spiritueller Mensch, passen Begriffe wie universelle Kraft, Quelle, das Göttliche oder eben das Sein.
Des Nachts befindest du dich somit in deiner wahren Natur – dem Sein. Wobei ich wahr nicht als Gegenteil von falsch meine, sondern im Sinne von absolut, unveränderlich und ewig.
Ein gerechtes Dilemma
Am Morgen wachst du auf, dein Bewusstsein ist wieder dort wo es hingehört und du beginnst mit dem Tagwerk. Deine Physis und Persönlichkeit empfindest du ab dem Klingeln des Weckers als die einzig wahre Realität, dabei ist sie relativ, da veränderlich und vergänglich. Der nächtliche Ausflug in das Sein ist vergessen. Ein blödes Dilemma, aber immerhin gerecht. Nacht für Nacht wird jeder Mensch zu seiner wahren Natur hingezogen, egal ob arm oder reich, gut oder böse, spirituell oder rational.
Du hast die Fähigkeit, dieses Dilemma zu lösen, wenn es dir wichtig ist und du Freude daran hast.
Ein Weg von vielen
Deine wahre Natur lässt sich nämlich im Wach-Bewusstsein erfahren. Eine Möglichkeit von vielen ist die Arbeit mit der Frage „Wer bin ich?“. Zieh’ dich in die Stille zurück und stelle sie dir. Richte dabei den Scheinwerfer der Aufmerksamkeit nicht auf deine Persönlichkeit, sondern auf das, was dahinter ist und dir nachts immer entwischt. Wenn sich eine Antwort in Form von Gedanken zeigt, befindest du dich noch auf der relativen Ebene, bei deiner Persönlichkeit. Frage weiter „Wer bin ich ohne diesen Gedanken, dieses Gefühl etc.?“ So dringst du weiter in die Tiefe vor, bis du selbst die Stille bist, nichts und alles zugleich. Das Sein zeigt sich als absolute Erfahrung und nicht als Zustand oder gar als ein Gefühl, denn beides ist unbeständig.
Und das soll’s jetzt bringen?
Das entscheidest du. Sei dir gewiss: Das direkte paradoxe Erleben des Seins befähigt dich, die relative Realität von der absoluten zu unterscheiden. Und das ändert einfach alles und gleichzeitig nichts. Du bleibst du, mit allem, was dich ausmacht. Der grosse Unterschied liegt darin, das Bewusstsein über deine wahre Natur aus der Versenkung des Tiefschlafs hinauf in den Alltag zu holen. Dadurch tritt deine Persönlichkeit in den Hintergrund und eröffnet dir einen neuen Blick auf dein Leben.
Beispielsweise beziehst du nicht mehr alles automatisch auf dich und fühlst dich deswegen angegriffen oder verletzt. Dein Tun wird frei von (meist versteckten) eigennützigen Motiven. Du erkennst die Flüchtigkeit deiner Emotionen und eine neue Flexibilität und Weite in deinen Gedanken. Zudem wirst du unabhängig von äusseren Bestätigungen, die deinem Ego schmeicheln. Was für eine Freiheit! Vermutlich wird dadurch nicht sofort der Weltfriede eingeläutet. Dein innerer Friede hingegen schon, und der ist für die Welt um dich herum sehr wohl spürbar.
P.S.: Wenn du mehr über die erwähnte Schlaf-Studie lesen möchtest, hier der Link (englisch).
Wer schreibt da?
Mein Name ist Tanja Bischofberger. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Widerspruch. Was ohne Grenzen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Dennoch liebe ich es, über Sein-Erfahrungen zu berichten. Dadurch öffnet sich vielleicht hie und da eine Tür bei einem Menschen, sich ebenfalls auf diesen wunderbaren Weg zu machen bzw. anzukommen. Vielleicht auch du?