Die Doppelnatur des Menschen — Teil 2

Bild: Alexander Donin auf iStockfoto.com
Bild: Alexan­der Donin auf iStockfoto.com

Im let­zten Blog habe ich mich auf eine Spuren­suche begeben, wie sich die Dop­pel­natur des Men­schen aus­drück­en kann. Vielle­icht hast du dich dabei gefragt, warum diese zweifache Natur über­haupt notwendig ist. Genügt es nicht, ein­fach nur Men­sch zu sein, sozusagen ohne diesen dop­pel­ten Boden? Bes­timmt hast du eine län­gere Zeit geglaubt, dass das Men­sch­sein alles ist. Doch tief in deinem Innern ahnst du: Da ist noch mehr.

Warum braucht das Sein überhaupt eine Form?

Gehen wir wiederum von der Annahme aus, dass die wahre Wesen­snatur von uns allen reines Bewusst­sein ist (ich nenne es gerne nur das Sein). Okay. So ein Bewusst­sein kann man sich ja auch wahnsin­nig gut vorstellen: Da existiert etwas, ohne Anfang oder Ende, ohne Zeit und Raum. Dieses Nichts, ist gle­ichzeit­ig gän­zlich gefüllt mit unendlichen kreativ­en Möglichkeit­en. Ist jet­zt alles klar? 😉

Das Bewusst­sein find­et diesen Zus­tand ver­mut­lich auch etwas doof. Es kann sich selb­st näm­lich nicht erken­nen, weil da nichts und gle­ichzeit­ig alles zu erken­nen ist. Also verdichtet es sich zu unter­schiedlichen For­men und erschafft damit die Dual­ität. Diese rel­a­tive Real­ität, in der wir alle leben, ist stets vergänglich. Das Sein erlebt sich selb­st durch diese begren­zte Gestalt hin­durch und erfährt, wie es sich aus­drückt und etwas bewirkt. Das ist wie beim Wind. Der ist unsicht­bar, zeigt sein Dasein jedoch durch ein aufge­bläht­es Segel oder eine wehende Fahne.

Und weil dieses unendliche Poten­zial vorhan­den ist, schafft sich das Bewusst­sein unendlich viele For­men. Unter anderem, unter ganz viel anderem, auch den Men­schen, auch dich.

Eine kulinarische Metapher

Um das vielle­icht etwas ver­ständlich­er zu erk­lären, schwinge ich aus­nahm­sweise mal den Kochlöf­fel. Stell dir vor, du möcht­est etwas back­en, ein Brot, einen Kuchen, ein Souf­flé. Die Zutat­en hast du alle zu ein­er homo­ge­nen Masse ver­rührt. Wie bekommst du das Ganze nun in den Ofen? Genau, du nimmst dir eine Form. Damit der Teig aufge­ht und ess­bar wird, braucht er eine Begren­zung = Kuchen­form. Getrieben von der Hitze schmiegt sich der Teig nun an die Form, sie ver­schmelzen sozusagen. Wie hart­näck­ig diese Verbindung sein kann, erfährst du dann, wenn du den fer­ti­gen Kuchen aus der Form lösen willst.

Das Problem mit der Identifikation

Du ahnst es schon, der Teig ste­ht für das Bewusst­sein, die Form in diesem Beispiel für den men­schlichen Kör­p­er.

Das erschaf­fende Bewusst­sein (Teig) ist gle­ichzeit­ig auch das erschaf­fene Geschöpf (Men­sch). Das ist recht ver­wirrend. Ver­mut­lich vergessen wir deshalb diese Tat­sache nach unser­er Geburt bzw. weil wir von unserem Umfeld anders kon­di­tion­iert wer­den: Der Men­sch ist ein eigen­ständi­ges Wesen, weit erhaben über allem, was existiert, mit einem ansehn­lichen Mass an Intel­li­genz bestückt und von der Idee getrieben, in diesem einen Leben möglichst viel zu erre­ichen und zu besitzen.

Mit dieser Aus­gangslage liegt es auf der Hand, dass sich der Men­sch immer mehr mit dem Men­sch­sein (also der Form) iden­ti­fiziert. Er ver­gisst, dass er in Wahrheit der ewige Teig ist, der die Form erschaf­fen hat. Spätestens am Ende des Lebens kehrt dieses Bewusst­sein jedoch zurück, wenn sich die Form wieder auflöst (hier hinkt die Back-Meta­pher, ich weiss. Da wird der Kuchen näm­lich aufgegessen und die Form bleibt ewig…).

Jetzt hilft nur noch die Butter, äh die Stille

Wie gesagt, am Ende deines Lebens klärt sich mit dem Tod die ganze Ver­wirrung von selb­st. Doch was wäre, wenn du schon jet­zt erkennst, dass du der ewige Teig bist? Du erin­nerst dich: Die Masse schmiegt sich an die Form. Und wenn da keine But­ter oder ein Teflon-Haft­be­lag dazwis­chen ist, braucht es manch­mal die Gewalt eines Messers, um an die Leck­erei zu kom­men.

Als men­schliche Form kommst du dein­er wahren Natur am näch­sten, wenn du in die Stille gehst, denn das Sein ist die Stille, und du kannst als Men­sch Stille erleben. Unbe­wusst tust du dies jede Nacht, wie ich im Blog über den para­dox­en Schlaf geschrieben habe. Ich plädiere jedoch für eine bewusste Erfahrung und empfehle daher das Sitzen in der Stille. Ohne Vorstel­lung, ohne Erwartung, ohne Musik, ohne ver­knotete Kör­per­hal­tung, ohne Räuch­er­stäbchen, ohne alles.

Sollte jet­zt in dir Protest aufkom­men und «das kann ich nicht!» schreien, dann hast du grad ein wun­der­bares Exem­plar ein­er Iden­ti­fika­tion mit einem Gedanken. Dieser legt dir ver­mut­lich sehr überzeu­gend dar, dass du ein Bewe­gungs­men­sch bist und beim still sein ein­schläf­st. Im Grunde ist das nur dein Ego, welch­es unbe­d­ingt ver­hin­dern will, dass du deine wahre Natur erkennst. Es hat Angst, dann keinen Job mehr zu haben, immer­hin hält es jet­zt den Teig an Ort und Stelle.

Die Kraft der Stille

Die Stille ist die opti­male Übungs- und Erfahrungsmöglichkeit, dein­er Dop­pel­natur auf die Spur zu kom­men. Und das erst noch kosten­los und mit ein­er 24/7‑Verfügbarkeit.

Set­ze dich bequem hin, schliesse die Augen und schau’ ein­fach mal, was passiert. Ver­mut­lich steigen viele Gedanken hoch. Achte für ein­mal nicht auf deren Inhalt, son­dern werde dir der Tat­sache bewusst, dass du deine Gedanken beobacht­en kannst, wenn sie wie aus dem Nichts plöt­zlich auf­tauchen. Dies ist nur möglich, weil du dich in dem Moment nicht mit den Gedanken selb­st iden­ti­fizierst. Im All­t­ag fühlt es sich meis­tens so an, dass du glaub­st, untrennbar mit dem Gedanken ver­bun­den zu sein. Schliesslich bis du es, der oder die denkt, ganz getreu dem Zitat von Descartes: «Ich denke, also bin ich».

In der Stille hast du die Möglichkeit, diese Per­spek­tive zu ver­lassen und dir beim Denken zuzuse­hen. Das Gle­iche gilt auch für die Gefüh­le und die Iden­ti­fika­tion mit dem Kör­p­er. Es geht dabei nicht darum, etwas abzulehnen, son­dern viel mehr um das Gegen­teil: Erfahre die stille intel­li­gente und kreative Kraft dahin­ter, die dein ganzes Erleben über­haupt erst ermöglicht.

Mit der Zeit wer­den deine Gedanken auch im All­t­ag weniger und du wirst acht­samer und flex­i­bler im Gewahr­sein, was deine men­schliche und was deine wahre Natur ist. Und du ver­lierst dadurch auch die Angst vor dem Tod. Wenn der let­zte Moment kommt, ob früher oder später, löst du dich leichter von dein­er men­schlichen Daseins­form. Du weisst schon, wegen der But­ter kennst du bere­its einen ersten Geschmack der Ewigkeit.

Deine eigene Erfahrung

Mit Hil­fe der Stille über­prüf­st du zudem, ob das alles stimmt, was ich hier schreibe oder was in ähn­lich­er Form in Büch­ern ste­ht oder in Videos erzählt wird. Glaube nicht ein­fach meinen Worten, son­dern prüfe alles nach. Wenn du in dir die Sehn­sucht nach der Wahrheit spürst, dann ver­bringe Zeit in der Stille. Mit Geduld und Hingabe wirst du alle Antworten in dir selb­st find­en und damit ver­bun­den einen tiefen Frieden, Dankbarkeit und Demut vor dem Leben.

 

Auf bald!

P.S.:

Wenn du einen ersten Ver­such mit der Stille wagen möcht­est und du am Anfang gerne ein­er Anleitung fol­gst, kann dir vielle­icht meine geführte Med­i­ta­tion «ein­fach. STILL. sein.» als Ein­stieg helfen.

einfach-sein-tabi

Wer schreibt da?

Mein Name ist Tan­ja Bischof­berg­er. Über das Sein zu schreiben ist im Grunde ein Wider­spruch. Was ohne Gren­zen ist, schränke ich durch Begriffe nur ein. Den­noch liebe ich es, über Sein-Erfahrun­gen zu bericht­en. Dadurch öffnet sich vielle­icht hie und da eine Tür bei einem Men­schen, sich eben­falls auf diesen wun­der­baren Weg zu machen bzw. anzukom­men. Vielle­icht auch du?